Leben, on my mind, Personal 3

Lieber Sommer 2020, …

Als ich heute Morgen durch die heimischen Wälder zog, habe ich bunte Baumkronen entdeckt und bin von der goldenen Spätsommersonne gewärmt worden, während mich die kühle Herbstluft fröstelte. Der Sommer neigt sich dem Ende zu und ich habe auf diesem Streifzug durch meine Kindheitserinnerungswälder, wie sie so treffend von Element of Crime benannt werden, über die vergangenen Monate nachgedacht. 2020 hat mein Leben so verändert, wie ich es letztes Jahr um diese Zeit nicht für möglich gehalten hätte. In den ersten Monaten des Jahres wurde ich nicht nur, wie der Rest der Welt, von der Virus-Welle überrollt, sondern auch von einer schockierenden persönlichen Erkenntnis: Du hast dich in einer Person aus deinem engsten Kreis getäuscht.
Auf diesen harten Aufprall folgte ein erstaunlich kurzer Zustand des Schocks und danach eine blühende Zeit, ein lebensfroher Sommer, wie ich ihn lange nicht mehr erlebt habe. Zwischen dem Aufprall und der Fahrt ans Meer lagen fünf Monate und als ich im Hochsommer in Holland aus dem Auto stieg, wurde mir auf einmal bewusst, wie glücklich ich mich fühle und wie schwer meine jüngste Beziehung auf mir lastete, solange sie anhielt. Ich habe mich unbeschwert gefühlt, denn vergangene Reisen waren immer von der Sorge geprägt auf der Hut seien zu müssen. Auf der Hut vor Lügen, Vertrauensbrüchen und Enttäuschungen.
Der Sommer 2020 war für mich wie eine zärtliche Umarmung. Er hat mich gehalten, gewärmt und mir Geborgenheit geschenkt, denn es gab keinen Funken Drama, sondern nur mich, die heiße Luft und Raum für einen persönlichen Entwicklungsschub.

Obwohl ich immer schon in mir geruht habe, hat dieser Zustand in diesem Jahr eine neue Ebene erreicht. Ich glaube ich schaffe es nach diesem Kapitel in meinem Leben in Zukunft schneller Menschen und Dingen, die mich belasten oder mir versuchen ein schlechtes Gewissen einzureden, den Rücken zuzukehren. Hör auf deinen Bauch, sagt meine Mutter. Sich im Nachhinein darüber zu ärgern, dass ich in der Vergangenheit oft gegen meine Intuition gehandelt und mich immer wieder von der Sorge einer Person Unrecht zutun habe leiten lassen, macht keinen Sinn. Eine Reflexion über dieses Verhaltensmuster macht hingegen großen Sinn. Ich tappe in meinem Leben immer wieder in die gleiche Falle. Zwischen Zuhören, Kümmern und Verständnis, verliere ich meine eigenen Bedürfnisse aus den Augen und gerate irgendwie immer an Menschen, die diesen Charakterzug bis zum bitteren Ende ausreizen. Meine verständnisvolle Seite will ich mir bewahren, aber sie, wenn möglich etwas mehr auf mich richten.

Während ich meine Tage an der See damit verbrachte spazieren zu gehen, am Strand zu liegen und zu lesen, habe ich gelernt loszulassen. Mit Anfang 20 hätte ich vermutlich Jahre dazu gebraucht die massive persönliche Enttäuschung zu verkraften, aber ich habe mich darin geübt, Dinge abzuschließen. Ich bin mir nicht sicher, ob mir die viele Bewegung dabei geholfen hat, oder ob es schlichtweg auf das Alter zu schieben ist, aber nach einer zielgerichteten Phase der Reflexion, blicke ich nach vorne. In diesem Sommer sind Charakterzüge zurückgekehrt, die ich schon immer in mir getragen habe, die aber hin und wieder verschüttet wurden. Ich habe mich gefühlt, wie eine reinere Version meines eigenen Selbst, leichtfüßiger. Der Sommer hat mir außerdem beigebracht meine Verletzbarkeit, die ich schon immer, wie wahrscheinlich jeder Mensch in mir trug, sichtbar zu machen und offen zu ihr zu stehen. Jetzt kann ich, wenn ich gescheitert bin, dazu stehen oder mich aus Situationen oder Verhältnissen herausziehen, die sich nicht richtig anfühlen und zwar ohne den Drang mich erklären zu müssen. Der Sommer 2020 hat mir Gelassenheit geschenkt. Die Kulisse für diesen Entwicklungsschub waren rauschende Wälder, stille Nächte und das Stimmengewirr eines belebten Strandes. Die Natur war lauter denn je, weil die Menschen in diesem Jahr ruhiger und ihre inneren Stimmen klarer geworden sind. Dieser Sommer war für mich eine sich immer wieder aufbäumende Woge aus Ruhe und Gelassenheit.

Redaktioneller Beitrag 

Getragen
Hemd von WoodWood 
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3 Comments

  • Diana Witt says: September 7, 2020 at 4:53 pm

    Einfach wunderschön geschrieben liebe Flora. Du hast eine wunderbare Gabe. Die Bilder sind wunderbar. Es wirkt alles so stimmig fliessend und authentisch. Dank deiner Inspiration habe ich Knausgard „Im Sommer“ gelesen.

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    • Flora says: September 8, 2020 at 7:00 pm

      Liebe Diana,

      vielen Dank für deine Worte.
      Ich hoffe du hast „Im Sommer“ genauso sehr genossen, wie ich. Ein fantastisches Buch!

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  • Christiane says: September 10, 2020 at 12:39 pm

    Liebe Flora, das hast du ganz wundervoll in Worte gefasst. Die Fotos dazu sind so sehr stimmig und die perfekte Ergänzung.
    Da ich im letzten Jahr ebenso eine Enttäuschung erleben musste, fühlte ich mich durch deinen Beitrag etwas ertappt, verstanden, getröstet und motiviert, nach vorn zu blicken. Und auch: Hoffentlich im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen.
    Lieben Dank für diesen wundervollen Rückblick auf einen besonderen Sommer!
    Christiane

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