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Ein Gespräch mit Christian Dittloff über Freiraum, Erwartungen und seinen Debütroman „Das Weiße Schloss“

Christian Dittloff hat seinen ersten Roman geschrieben und genau diesen habe ich in den vergangenen zwei Wochen gelesen. „Das Weiße Schloss“ erzählt von den Liebenden Ada und Yves und von ihrem Weg in die Elternschaft. Das glückliche Paar entscheidet sich aber nicht einfach so, mal eben zwischen Tür und Angel, für ein Kind, denn sie wollen weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen und entscheiden sich deswegen ihr Kind von der Zeugung an in einer Eliteeinrichtung groß werden zu lassen. Um die Geburt kümmert sich eine ideale Leihmutter. Ein mutiges Romandebüt, denn der junge Autor thematisiert die scheinbare Unvereinbarkeit von Selbstverwirklichung und Familienleben und spricht ein Thema an, das auch mich immer wieder ins Stocken geraten lässt: Gesellschaftliche Erwartungen, die an dich und den Ablauf deines Lebens gestellt werden.
Unser Gespräch über seinen Roman öffnet den Blick für das Schreiben als Beruf, für Elternschaft, für normative Bilder, denen wir entsprechen wollen und für das individuelle Verständnis von Freiraum.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich Dich vor sieben Jahren im Molotow in Hamburg getroffen und die eingekreiste Schreibfeder auf der Innenseite deines Unterarms entdeckt habe. Daraufhin hast du uns von Deinen Gedichten und Geschichten, von Deinem Bezug zur Literatur erzählt. Seitdem ist viel passiert. Wie bist Du ursprünglich zum Schreiben gekommen und wie in den vergangenen Jahren als Autor gewachsen? 

Christian Dittloff: Daran kann ich mich auch noch gut erinnern! Ich habe damals hinter dem Tresen gearbeitet und hin und wieder mit Musikbegleitung durch die DJ Literatur auf dem Tresen performt. Damals, in meinen 20ern, war Literatur für mich eher alltägliche Beobachtung und deren Überformung. Heute schreibe ich deutlich langfristiger. Zum Schreiben bin ich über das Lesen gekommen, über Deutsch- und Philosophielehrer*innen, die mich für literarische Werke begeistert haben. Doch es brauchte einige Romanentwürfe für die Schublade, ein literaturwissenschaftliches Studium, langjährige Arbeit als Kulturjournalist und das Studium des Literarischen Schreibens in Hildesheim, bevor ich mein Debütroman „Das Weiße Schloss“ schreiben konnte.

Wann und wie hast Du entschieden Deinen ersten Roman zu schreiben? Passiert das einfach so, im Rausch des Prozesses oder ist es eine bewusste Entscheidung? 

Christian Dittloff: Erste Skizzen zu meinem Roman sind im Sommer 2015 entstanden. Ich war damals mit einer befreundeten Autorin beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt und habe auf der Heimfahrt einen kleinen Text im Auto niedergeschrieben, der die Romanwelt und die Figuren Ada und Yves schon vorgezeichnet hatte. Ich habe schnell bemerkt, dass mich das Thema, das erst nur als Kurzgeschichte geplant war, sehr fasziniert, weil an das Streitthema „Elternschaft“ zum Beispiel die Themen sozialer Ungerechtigkeit und Geschlechterungleichheit andocken. Das langanhaltende Fasziniertsein und meine Recherchen haben mich dann merken lassen, dass dieser Stoff für mich größer ist als eine Kurzgeschichte, sondern das Zeug zum Roman hat. Es war also ein fließender Übergang. Alle anderen Projekte habe ich dann erstmal auf Eis gelegt und mich ganz dem „Weißen Schloss“ gewidmet.

Dein Debütroman „Das Weiße Schloss“ spinnt den all gegenwärtigen Drang der Selbstverwirklichung weiter. Eine intakte Familie wollen die meisten Ehepartner schon, aber eben am besten ohne sich selber „aufzugeben“, sich einzuschränken oder ihren eigenen Ansprüchen an das Elternsein nicht gerecht zu werden. Mit dem Blick in eine andere Jetztzeit erzählst Du die Geschichte von Ada und Yves, die ihr Kind von einer sorgsam ausgewählten Leihmutter austragen und aufziehen lassen. Die Idee der konservativen Familie ist nur noch auf das Endprodukt, den möglichst schönen, intelligenten und erfolgreichen Nachkommen ausgerichtet, der Weg dahin ist ein neuer. Die Entwicklung und Begleitung des Kindes wird komplett ausgelagert. Wie bist Du auf diese Thematik gekommen?

Christian Dittloff: In einem bestimmten Alter, in meiner Lebensrealität so um die 30, stellt die Gesellschaft diese Frage, als wäre eine Zeitschaltuhr daran befestigt: „Was ist mit dem Nachwuchs?“ Frauen sind dieser Frage meist drängender, selbstverständlicher und auch mit stärkerem moralischen Imperativen ausgesetzt. Doch es gibt diesen Druck auch auf vielen weiteren Ebenen in dieser Lebensphase: Karriere, individuelle Selbstverwirklichung, Körper, romantische Beziehung, Wohnsituation, Ernährung – alle Bereiche des Lebens sind so stark von normativen Bildern geprägt, dass es eine nicht leistbare Arbeit ist, all diesen Bildern zu entsprechen. In meiner Romanwelt entscheiden sich Ada und Yves für ein Kind auf dem Weißen Schloss, weil sie wissen, dass sie diesen Ansprüchen in Hinblick auf Erziehung nicht genügen können. Sie sind nicht nur egoistisch, wie es in einigen Rezensionen heißt, sondern gehen offen mit der Überforderung um. Hinzu kommt, dass sie in einer finanziell privilegierten Situation leben und daher ganz anders und mit viel mehr gesellschaftlicher Verantwortung ihre Entscheidungen treffen können als andere. In vielen Familien sorgt zum Beispiel das Gender-Pay-Gap dafür, dass immer die Frauen zu Hause bleiben.
Die Kernidee ist für mich übrigens nicht das perfekte Kind – das wollen ja eh alle haben, bedenkt man die allerorts proklamierten Richtlinien in Eltern-Blogs, Instagram, Ratgebern und so weiter – sondern eine entlastende Form der Elternschaft. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Freiraum. 

Die primäre Handlung wird immer wieder von den Forschungsständen der Reproduktionsmedizin unterbrochen. „Das Weiße Schloss“ macht darauf aufmerksam, dass Forschung Gesellschaft formt. Wie blickst Du persönlich auf die Idee der perfektionierten Reproduktionsmedizin. Ängstlich oder fasziniert? 

Christian Dittloff: Du sagst es ganz richtig: Die Miniaturen zeigen auf, dass Forschung in die Gesellschaft zurückstrahlt. Wenn etwa Aristoteles noch glaubte, dass das Menstruationsblut der Frau das Material sei und der Samen des Mannes der Schöpfungsfunken aus dem das Kind entstünde, dann macht dieses „Wissen“ natürlich etwas mit den Menschen seiner Zeit. Auch die Einstellung zum Stillen und die Konzepte von Mutterliebe haben sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, ähnlich der Idee von romantischer Liebe, die überspitzt formuliert, eine Erfindung des 18. Jahrhunderts ist. Mit der Reproduktionsmedizin ist es da nicht anders. Die Intention der Zeugung des ersten in-Vitro-Babys vor genau 40 Jahren war allerdings nicht Perfektion, sondern vielmehr die normative Idee der Kleinfamilie: Ein Ehepaar konnte keine Kinder auf „natürlichem“ Wege bekommen und die Wissenschaft hat geholfen. Für mich liegt darin eine wichtige Möglichkeit Familienkonzepte jenseits der heteronormativen Zweierbeziehung zu stärken und beispielsweise homosexuellen Paaren Elternschaft zu ermöglichen.
Wenn wir an Reproduktionsmedizin denken, denken wir oft an die Ausbeutung von Leihmüttern in der Ukraine zum Beispiel, die Kinder für reichere Gesellschaften, das heißt für uns, gebären und dafür schlecht bezahlt werden. Doch dieser Zustand ist für mich erstmal kein Problem der Reproduktionsmedizin, sondern ein Problem des globalisierten Kapitalismus und der sozialen Gerechtigkeit. Die Verantwortung liegt in der Gesetzgebung. 

Wieso ist das Modell etwas auf sich zukommen zu lassen, das Modell der Gelassenheit, so unmodern geworden? In unserer Gesellschaft wird geplant und getimt. Was meinst Du, wann können wir mit einer Gegenbewegung rechnen? 

Christian Dittloff: Ich glaube, dass es viele individuellen Gegenbewegungen längst gibt. Menschen haben es satt, ein optimiertes Leben zu führen. Das Wort „Optimierung“ hat seine positive Konnotation doch längst verloren. Das Problem ist, dass heute selbst die Gegenbewegungen und ihre Versprechen von „Ruhe“, „Auszeit“, „Back to nature“ von Verwertungslogik durchdrungen sind. Spätestens in dem Augenblick, in dem man seinen Eskapismus im Netz abbildet und der Bewertung durch Likes aussetzt, führt man seine Bemühungen sich den Imperativen der Leistungsgesellschaft zu entziehen ad absurdum. 

„Das Weiße Schloss“ ist im Berlin Verlag erschienen*

Bilder: Christian Werner 
Layout und Text: Flora Treiber

Redaktioneller Inhalt, freiwillige Markennennung und Verlinkung

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3 Comments

  • Hanna says: November 5, 2018 at 5:56 pm

    Liebe Flora,

    was für ein schönes Gespräch, du hast gute Fragen gestellt und Christians Antworten sind klug und durchdacht – es war ein Vergnügen diesen Beitrag zu lesen.
    Das Layout ist dir übrigens auch gelungen 🙂

    Reply
    • Flora says: November 5, 2018 at 6:00 pm

      Danke für deine Rückmeldung, Hanna.

      Reply
  • Daniel says: November 6, 2018 at 1:49 pm

    Tolles Interview!

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