Literatur, Personal 2

Mein Sonntag in Paris – die Neuerscheinung „À Paris“

Es ist der erste Sonntag seit sehr langer Zeit an dem mein Wecker nicht klingelt und in meinem Kalender kein einziger Termin steht. Was macht man an einem freien Sonntag? Ich weiss es ehrlich gesagt gar nicht. Seitdem ich als freie Journalistin arbeite, selbst zu Abi- und Unizeiten, sind meine Sonntage davon bestimmt über Konzerte, Vereinsfeste oder Ausstellungen zu schreiben. Sonntage waren meine Montage. Jetzt findet gesellschaftliches Leben in dieser Form nicht mehr statt. Ich arbeite von Montag bis Freitag vom Telefon, vom Schreibtisch aus, recherchiere Artikel aus meinen eigenen vier Wänden und bin nicht mehr die rasende Reporterin, die ich seit meiner Jugend bin. Ich sitze an einem Platz und versuche von hier aus über viele verschiedene Facetten der aktuellen Krise zu berichten. Ein komisches Gefühl und ich fange an meinen Arbeitsalltag zu vermissen.
Heute habe ich gegen 10 Uhr die Augen aufgeschlagen, das ist für mich verhältnismäßig spät aber einige Minuten später finde ich heraus, dass die Uhren in der Nacht zurück auf Sommerzeit gestellt wurden. Okay, eigentlich wäre es erst neun Uhr. Mit Joghurt und Müsli setze ich mich im Schneidersitz auf mein Bett und gucke eine Dokumentation über das Leben von Audrey Hepburn. War diese Frau zauberhaft, einfach entzückend.
Gegen halb eins Sitze ich an meinem runden Küchentisch und versuche diesen Sonntag für Projekte zu nutzen, für die ich seit Wochen keine Zeit gefunden habe. Einige Stunden vergehen, ich bin unzufrieden mit meinem Fortschritt, lackiere mir meine Fingernägel neu und setze einen Topf Nudeln auf den Herd. Während die Nudeln mit Pesto warm in meinem Bauch liegen, fange ich an Harry Styles und Iggy Pop zu hören. Der nachmittägliche Kaffee zieht vor sich hin, während ich zu meinem Schreibtisch schlendere und meinem Arbeitsrhythmus, vor der Krise, nachtrauere. Mein Blick fällt auf das zarte Cover von „À Paris“, das dieses Jahr im Knesebeck Verlag erschienen ist und von Jeanne Damas und der Autorin Lauren Bastide zusammengetragen wurde. Höchste Zeit dieses Buch zu lesen, zu entdecken und euch vorzustellen, finde ich.

Die Texte, die ich an diesem Nachmittag lese, sind aufmerksam und gut beobachtet und machen mir Lauren Bastide schnell sympathisch. Die analogen Fotografien von Jeanne Damas erwecken meinen langjährigen Wunsch eine neue Kamera zu kaufen zu neuem Leben. Vielleicht sollte ich einfach unvernünftig sein und einen Teil meines ersparten Geldes in neue Technik und meine Leidenschaft investieren, wirtschaftlich schwere Zeiten hin oder her.
In „À Paris“ stellen die zwei Französinnen 20 Frauen vor, die in Paris leben und nicht nur den gängigen Klischees von Pariserinnen entsprechen, sondern zusätzlich ihre ganz eigene Magie haben. Durch die Wohnzimmer, Hinterhöfe und Stammcafés dieser Frauen kann ich an diesem Sonntag in eine meiner Lieblingsstädte reisen. Nach den ersten beiden Portraits des Buches habe ich Lust meiner Wohnung noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, fange an mich nach Trödelmärkten zu sehnen und fühle mich dazu bereit junge Ideen in Taten umzusetzen. Die vielen verschiedenen Frauen kennenzulernen und einen Einblick in ihren Lebensstil, ihre Träume und Ansichten zu bekommen, inspiriert mich. Ich fühle mich jetzt noch ein bisschen wohler in meiner Wohnung, denn mir geht es ähnlich, wie diesen Pariserinnen. Meine Wohnung ist ein Spiegelbild meiner Interesse und meines Kleidungsstils, sie ist meine Realität.
Immer wieder fällt mir in „À Paris“ auf, dass die Portraits sich stark auf das Viertel, das Arrondisment, in dem die Frauen wohnen, beziehen. Sie leben ein ländliches Leben in einer Metropole, verlassen ihre Nachbarschaft selten und erledigen alles innerhalb weniger Straßenzüge. Das spricht mir zu, macht mir das Buch einmal mehr sympathischer.   Ich lerne die rothaarige Amélie Pichard kennen, die genau wie ich ihre Schulzeit hasste und fange an im Internet über die Designerin zu recherchieren. Auch das Portrait über Charlotte Morel macht mich neugierig. Warum kommt sie wohl nicht von diesem jungen Mann los, der ihr offensichtlich nicht gut tut, aber den sie über alles liebt? Mir kommt es vor, als würde ich Filmfiguren entdecken, die sich niemand ausgedacht hat, sondern die tatsächlich in Paris leben. Das macht Spaß.
Einige Momente später lerne ich unter anderem Sophie Fontanel und Valentine Maillot kennen. Beide Frauen sind in ihren Fünfzigern und treten in mir die Hoffnung los ebenfalls zu diesen Frauen zu gehören, die zeitlos elegant sind. Beide motivieren mich außerdem dazu eine Expertin auf einem Gebiet zu werden, das ich mir selber erschaffe. Jetzt denke ich an meine erste Soziologie-Vorlesung, in der meine Professorin sagte „Soziologen müssen sich ihren Beruf selber schaffen“. Ich bin mittendrin, glaube ich.
Im Wald hinter mir fallen dicke Schneeflocken vom Himmel, die sich nicht für die frisch eingestellte Sommerzeit zu interessieren scheinen. Ich bin auf den letzten Seiten von „À Paris“ angekommen und zufrieden mit der Lektüre für diesen Sonntag. Ich habe einiges gelernt, fühle mich inspiriert und unabhängig. Der Guide, der sich Paris auf eine sehr persönliche Weise nähert, hat mich positiv überrascht und mir diesen freien Sonntag versüßt. Trotzdem hoffe ich, dass ich in einigen Wochen wieder einen montäglichen Sonntag bewältigen darf. Ich stelle das Buch in mein Bücherregal, lasse Mais zu Popcorn aufknallen und fange an meine Dessous-Schublade aufzuräumen.

Redaktioneller Beitrag 
„À Paris“, Knesebeck Verlag, Rezensionsexemplar 

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2 Comments

  • Anna says: April 2, 2020 at 5:22 am

    Deine Review ist zauberhaft geschrieben, vielen Dank!

    Liebe Grüße
    Anna

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    • Flora says: April 16, 2020 at 9:16 am

      Danke Dir!

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