Culture, Literatur, Personal 1

Meine Begegnung mit Munch und Knausgard

Was macht man an einem einsamen Samstag, der ausnahmsweise mal nicht durch Arbeit geprägt ist, aber dafür von emotionalem Kummer? In meinem Fall ist die Antwort leicht. Man liest ein Buch, für das man sich brennend interessiert und besucht eine Ausstellung, die passenderweise ein Teil dieses Buches ist.
Genau das habe ich also am vergangenen Samstag getan. Ich bin aufgewacht, irgendwann gegen sieben, habe mich ein paar Stunden zwischen Schlaf und Wachsein hin und her gewälzt und dann die neueste Publikation von Karl Ove Knausgard von meinem Nachttisch gefischt, die wenige Tage zuvor als Rezensionsexemplar in meinem Briefkasten gelandet ist. Das ist toll, Journalistin und Bloggerin zu sein und Bücher zugesendet zu bekommen, damit man sie liest und über sie schreibt. Meistens dauert das bei mir eine Weile, weil ich weniger lese, als ich sollte und der Stapel an ungelesener Literatur immens ist. „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“ musste allerdings nicht lange warten, um meine Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. In den vergangenen Jahren habe ich mich in die Welt von Knausgard gelesen, immer wieder über ihn geschrieben und ihn, trotz all seiner Härte und Klarheit, als liebevollen und sensiblen Mann bewertet. Die Welt durch seine Augen zu betrachten und die Feinheiten seiner Sprache zu entdecken, war eine Reise und ist es noch.
In dem Buch, das im Luchterhand Verlag erschienen ist, führt der Autor sich selber und seine Leser an die Bilder und das Werk von Edvard Munch heran. Wer nur eine leichte Ahnung davon hat, wer Karl Ove Knausgard ist und wer Edvard Munch war, hat schon vor der Lektüre die Vermutung, dass die Begegnung der beiden zu einer emotionalen Angelegenheit werden könnte.
Auf den ersten Seiten des Buches war ich einfach froh mich wieder in der Sphäre des Norwegers zu bewegen. Wer mehrere Werke eines Autors gelesen hat, kennt seine Sprache, seine Art zu formulieren und zu beschreiben. Zu lesen ist dann wie ein Wiedersehen, wenn auch ein sehr einseitiges. Schließlich ahnt Knausgard nichts von meiner Existenz, während ich in seiner Gedankenwelt versinken darf.
Zu Beginn des Buches berichtet Knausgard von seinen persönlichen Begegnungen mit Kunst und warum er glaubt, dass Kunst wirkt und unser Leben beeinflusst. Er ordnet unser Erleben der Kunst ein und führte mir einen Sachverhalt klar vor Augen, über den ich mir als Soziologin natürlich bewusst war, aber ihn noch nie so treffend beschrieben bekommen habe. Wir erleben Kunst im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Sozialisation. Unsere persönliche Biografie, unsere Bildung, unser Erfahrungsschatz und unsere Sprache formen das, was wir in der Kunst sehen und wie wir sie deuten.
Mit einem spitzen Bleistift fing ich an diesem Samstagmorgen an, mir wichtige Stellen in „So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche“ zu markieren. Mich haben die Passagen in denen Knausgard die Beziehung von Gesellschaft, Zeitgeist und Kunst beschrieben hat, begeistert. An der Stelle des Buches, bei der er zu einer ersten Beschreibung eines Munch Bildes kommt, schlug ich die Bettdecke zur Seite, zog mich für diesen feierlichen Samstag an und machte mich auf den Weg zum Bahnhof.

Die Zugfahrt von Wuppertal nach Düsseldorf dauert eine halbe Stunde. Zum Glück wurde ich rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, dass die Kunstsammlung K20 in Düsseldorf bis Anfang März die Ausstellung „Edvard Munch – gesehen von Karl Ove Knausgard“ zeigt. 138 Werke eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts werden nicht weit von mir ausgestellt und dieser Samstag war perfekt um lesend in eine andere Stadt zu fahren und lesend und staunend durch ein Museum zu wandern.
Gewogen vom Schaukeln des Zuges weihte mich Knausgard in die verschiedenen Schaffensphasen von Edvard Munch ein. Im Bezug auf seine Biografie, seine Verlustängste und die einsamen Lebensstunden machten seine Bilder schnell mehr Sinn. Dank der Lektüre ist es mir gelungen einen Zugang zu den Bildern zu bekommen, der mir vielleicht selber nicht gelungen wäre. Nach einem Morgen im Bett und einer Zugfahrt, umgeben von Fremden, war mir Edvard Munch schon näher, als erwartet. Die Vorfreude gleich aus der U-Bahn zu steigen, ein paar Meter zu gehen und dann selbst vor seinen Werken zu stehen, wuchs.

An der Kasse verkaufte mir eine Damen Mitte Fünfzig mit rot gefärbten Haaren, die wahrscheinlich ihrer jugendlichen Naturhaarfarbe nachempfunden sind, die Eintrittskarte. Sie gab mir eine kurze Einführung in die Ausstellung, was ich gemessen an der Länge der Menschenschlange hinter mir, sehr aufmerksam fand. In diesem kurzen Gespräch verzückte mich ihr Aussehen und ihre sehr bedacht ausgewählte Kleidung. Im ersten Raum der Ausstellung, der mit „Licht und Landschaft“ betitelt ist, fiel mein Blick auf eine hellhäutige Frau mit rötlichem Haar, die Munch gemalt hat. Ah, die Kassiererin war also eine Art Vorbote auf die nächste Stunde.
Jeder der vier thematisch abgegrenzten Räume wird durch ein Zitat von Karl Ove Knausgard eingeleitet. Die Landschaften von Edvard Munch haben mich in ihren Bann gezogen. „Badende Männer auf Klippen“, „Mutter und Tochter im Garten“ oder „Wellen am Strand“ ließen mich von ruhigen schwirrenden Sommertagen träumen und versetzten mich zurück in den Garten meiner Eltern. Die Bilder erweckten bei mir, dank Knausgard weiss ich, dass das etwas mit meiner Biografie zutun haben muss, eine Art Urvertrauen. Sofort habe ich mich aufgehoben gefühlt und gemerkt, wie sehr ich die Natur und all ihre Facetten liebe. Wie schafft Munch die Abbildung einer Landschaft so mit Emotionen aufzuladen?
Mit der Sehnsucht nach Geborgenheit und bedingungsloser Liebe ließ ich mich in „Der Wald“ auf der mittleren, schwarz gepolsterten Bank plumpsen. Das Museum füllte sich rasant und mein Versuch war es, weiter in Knausgards Buch zu lesen und mich immer wieder den Bildern zuzuwenden, von denen ich gerade gelesen hatte.

„Die Kunst zu malen besteht darin zu sehen und dann den Abstand zwischen
dem Gesehenen und dem Gemalten möglichst klein zu machen.“

Knausgard meint damit wahrscheinlich das Gesehene möglichst so wiederzugeben, wie es tatsächlich ist. Die Wahrheit wird aber stets von Ort, Zeit und Persönlichkeit geprägt und kann in ihrer reinen Form nicht abgebildet werden. Edvard Munch schafft es aber, zu diesem Schluss kam ich in dem grünen Raum der Ausstellung, sich auf die reale Stimmung eines Momentes zu besinnen. Das Gemälde „Winternacht“ stimmte mich traurig. Traurig in dem Sinne, dass mich die Zärtlichkeit und Behutsamkeit zwischen Mutter und Kind tief berührte.
Nach „Chaos und Kraft“ mündet die Ausstellung in einem gelben, hellen Raum. „Die Anderen“ zeigt zahlreiche Porträts, auf die mich Knausgard bereits vorbereitet hatte. Ich wusste also schon, dass Munch Menschen gerne in voller Größe, von Kopf bis Fuß, gemalt hat. „Und darum geht es doch bei allem, nicht wahr? Um Gegenwart. Die Gegenwart eines Menschen, Gegenwart einer Landschaft, Gegenwart eines Raums, Gegenwart eines Baums“ schreibt der Norweger. Ich blieb vor den gemalten Menschen stehen, stellte mir vor wie eine Begegnung mit ihnen ausgesehen hätte und verließ die Ausstellung einige Minuten später.
Auf der Rückfahrt, zurück in meine Gegenwart, machte ich mir viele Gedanken zu den Menschen und Gegenständen die meine persönliche Wahrheit schaffen und geformt haben.

Redaktioneller Inhalt 
basierend auf einem Rezensionsexemplar 
freiwillige Verlinkungen 

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1 Comment

  • Dnalor says: Februar 2, 2020 at 6:44 pm

    Danke für das Teilen Deiner Empfindungen, Erfahrungen und Erinnerungen – eine liebevolle, behutsame Annäherung an Munchs Werk.

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