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Dank der Krise durch die Krise | on my mind

Ich habe mich in meinem Leben noch nie zu einsam gefühlt. Gerade einsam genug habe ich mich schon oft gefühlt. Das ist ein gutes Gefühl. Wenn Einsamkeit nicht zur Belastung wird, sondern eine kraftspendende Quelle ist, bin ich gerne einsam. Einsam ist nicht gleich einsam. Es gibt gute und es gibt schlechte, tief traurige Einsamkeit. Introvertierte Menschen, so heißt es, schöpfen aus Einsamkeit neuen Antrieb, während extrovertierte Menschen ihre Akkus in Gesellschaft aufladen. Ich wusste schon früh in meinem Leben zu welcher Sorte ich gehöre und habe aus diesem Charakterzug nie ein Geheimnis gemacht.
Nach fast sieben Wochen alleine in meiner Wohnung fühle ich mich immer noch gut. Hinter mir liegen produktive Wochen und das beziehe ich nicht nur auf meine Arbeit, sondern auch auf den Stapel gelesener Bücher neben meinem Bett, auf meinen vollen Notizblock und auf die Aufarbeitung der letzten zwei Jahre. Oh ja, das war wohl die meiste Arbeit, aber ich habe sie investiert und auf mich genommen. Ich habe daran gearbeitet Enttäuschungen zu verschmerzen, Probleme zur Ruhe zu legen und mich zu lösen.
Kurz bevor die Pandemie Deutschland in ihre harte Hand nahm, habe ich die Liebesbeziehung, in der ich steckte, beendet. Trennungen sind nie leicht und auch diese hat mich aus der Bahn geworfen. Ehrlich gesagt weniger die Trennung, als Aspekte der Beziehung selber. Ich habe aus unzähligen Enttäuschungen eine Konsequenz gezogen. Das schlimmste ist doch immer, dass man mit einer Trennung nicht nur einen Partner, sondern auch einen besten Freund verliert. Das fällt auch mir schwer, aber trotzdem spürte ich wenige Tage nach der Entscheidung ein Flügelschlagen in mir, das ich seit einer Weile nicht mehr gespürt hatte. Ein gutes Zeichen. Dieses Flügelschlagen, diese neugewonnene Energie, die man verspürt, wenn man eine schwere aber richtige Entscheidung getroffen hat, habe ich für meinen Alleingang durch die Krise genutzt.

Ich stehe jeden Morgen brav auf, mache mein Bett, öffne die Fenster, koche mir einen Tee und wringe meine Wirbelsäule auf der Yogamatte einmal nach links und einmal nach rechts aus. Ich verdiene Geld, bezahle meine Steuern, koche ausgewogen und lache alleine über Dinge, die ich im Fernsehen sehe. Ich bin gut zu mir und zu meinem Körper und das hat mich diese sieben Wochen wohl so erfolgreich überstehen lassen. Knausgard hat geschrieben „Gleichzeitig erkenne ich, dass gerade die Wiederholungen, das Hermetische, das Unveränderliche notwendig ist und mich schützt“ und beschreibt damit ganz gut auf welche Taktik ich während der Krise setze. Ich durchlebe nicht nur die globale, sondern auch eine persönliche Krise. Routinen, die man in Zweisamkeit geschaffen hat, müssen durch neue Routinen ersetzt werden und ich habe mir ein paar geschaffen, die ich schon jetzt, nach wenigen Wochen, liebe. Die globale Krise hat mich dazu gezwungen diese Schritte zu gehen, denn würde das Kontaktverbot nicht bestehen, hätte ich die Trauer über die verlorene Liebe vielleicht anders bewältigt. Wochen in trauter Einsamkeit haben mich dazu gezwungen hinzuhören und mich auf die Suche nach dem zu machen, was ich will und was mich glücklich macht. Jetzt weiss ich, dass ich mich neu verlieben möchte und neue Erfahrungen sammeln werde. Ich fühle mich aufgeräumt und offen.
Die Einsamkeit hat es mir ermöglicht Stunden mit Nachdenken zu verbringen. Wahrscheinlich hätte ich in einem Alltag in normaler Geschwindigkeit Monate dazu gebraucht meine angestaute Wut und Enttäuschung zu verarbeiten. Stimmen von außen, mehr Menschenkontakt hätte diesen Prozess verlangsamt und verwässert. Die Pandemie hat den Zeitraum der vergangenen Monate zu einem konturlosen Raum gemacht. Tage und Wochen verschwimmen, weil es keine Ausschläge nach oben oder unten mehr gibt. Es ist ein unaufhörliches Rauschen, das mich normalerweise langweilen oder traurig machen würde, aber im Zeichen der persönlichen Krise war der konturlose Raum heilsam für mich. Heilsam, weil ich mich auf die Höhen und Tiefen in mir besinnen konnte.

Redaktioneller Beitrag 

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6 Comments

  • Simi says: April 30, 2020 at 9:57 pm

    Liebe Flora,
    wenn ich das lese, wird mir warm ums Herz!
    So schön, dass du wirklich das Beste für dich aus dieser Situation machst! Ich finde es klasse, wie du mit dir umgehst! Sei stolz auf dich und liebe dich dafür! Alles alles Gute, Simi

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    • Flora says: Mai 1, 2020 at 8:19 am

      Danke! <3

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  • Fiona says: Mai 1, 2020 at 6:25 am

    Ein sehr berührender & starker Text! Du hast Recht, Einsamkeit braucht es manchmal um viel nachzudenken & zu heilen. Ich habe mich auch durch Einsamkeit geheilt nach einer Trennung vor zwei Jahren & heute bin ich sehr verliebt & habe viel Neues über mich erfahren. Alles Gute für dich!

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    • Flora says: Mai 1, 2020 at 8:20 am

      Danke, Fiona!

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  • Clara says: Mai 1, 2020 at 10:41 am

    Liebe Flora,
    dieser Text ist mir so ans Herz gegangen, weil ich gerade eine sehr ähnliche Krise erlebe. Ich habe mich vor gerade erst 3 Wochen endlich aus einer ungesunden und viele Jahre andauernden Beziehung befreit und kann diesen „befreienden Flügelschlag“ so gut nachempfinden. Im hektischen Alltag habe ich es nie geschafft mich zu befreien und mir die Zeit genommen in mich zu gehen. Natürlich gibt es schon mach kurzer Zeit Momente die mein Herz wieder schwer werden lassen und in denen ich das Gefühl habe ich mache wieder Schritte zurück anstatt nach vorne, aber ich glaube all das gehört zum Verarbeiten dazu und einen Schalter mit einem Aus-Knopf gibt es nunmal nicht.
    Ich möchte mir auch neue eigene Routinen aneignen und meinen Kopf mit Wissen in Form von Büchern füllen. Welche Bücher hast du während dieser Zeit gelesen?
    Alles Liebe weiterhin für dich und bleib stark! 🙂
    Clara

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    • Flora says: Mai 3, 2020 at 7:35 pm

      Liebe Clara,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich sehr darüber, dass du dich mit dem Text identifizieren kannst – du wirst bestimmt bald ganz viele Schritte nach vorne machen 🙂
      Ich habe während der Zeit viel von der Autorin Meg Wolitzer gelesen. Unter anderem „Die Interessanten“ und „Die Stellung“ – das sind beides tolle Romane, die Biografien einfühlsam aber auch oft komisch und liebenswert beschreiben. Bei der Lektüre hatte ich sehr viel Freude, weil sie mich abgelenkt und mich gelehrt hat, dass Auf und Abs zu jedem Leben dazu gehören.

      Viele Grüße
      Flora

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